Die Vesper -  der Beginn eines neuen Tages (P. Benedikt Lohmann)

 

Der langjährige Pfarrer dieser Gemeinde P. Benedikt Lohmann (gest. 1995) hat den Gottesdienst-Plänen 1990 bis 1993 in unregelmäßiger Folge Erläuterungen zur täglich von ihm gehaltenen Vesper beigefügt. Sie können auch heute noch zum Verständnis des orthodoxen Gebetslebens überhaupt helfen und werden deshalb hier in ganz geringfügiger Überarbeitung zusammenhängend veröffentlicht:

 

        1.      Der Anfang

 

Wenn der Tag nach dem Augenschein endet, das Licht langsam in Dunkelheit übergeht, beginnt für den Gläubigen der neue Tag. Darum singt die Kirche täglich zu dieser Stunde als Einleitung der Vesper, des ersten Gottesdienstes des Tages, den Schöpfungspsalm 103 (hebr.104): „Preise, meine Seele, den Herrn...“. – Die Schöpfung tritt ins Licht. „Es ward Abend, und es ward Morgen: ein Tag!“ „...der Du Dich in Licht kleidest wie in ein Gewand.... In Weisheit hast Du alles geschaffen.“

Am Anfang des Tages also soll der Mensch die Schöpfung betrachten. Ist ja dieser Psalm die „Ausmalung“ des Bildes des sichtbaren und unsichtbaren Kosmos. Und in dieser Betrachtung soll er gleichsam durch die Schöpfung „hindurchsehen“ auf den Schöpfer. Es ist derselbe geistige Vorgang wie beim Betrachten einer Ikone. So werden wir direkt und wie von selbst zur Anbetung Gottes geführt und beginnen daher mit dem dreimaligen: „Kommt, lasst uns niederfallen...“

Noch deutlicher tritt der Sinn dieses täglichen Beginns der Vesper hervor, wenn diese am Anfang einer Vigil/Nachtwache steht, also an Sonn- und anderen hohen Feiertagen. Denn dann wird der Psalm ja nicht nur vom Leser rezitiert, sondern von allen bzw. vom Chor gesungen (wenn auch um der Kürzung des Gottesdienstes willen nur in Auswahl).

 

Die Heiligen Väter sagen nun, dass es nicht genügt, die Verse „Kommt, lasst uns niederfallen...“ so einfach zu singen, sondern beim ersten Mal „mit ruhiger Stimme“, bei der ersten Wiederholung schon ein wenig stärker, bei der zweiten Wiederholung dann mit „voller Stimme“.

Solche Hinweise der Väter machen uns darauf aufmerksam, dass der Gesang unserer Gottesdienste ganz vom Text her bestimmt wird. Wer ohne Verständnis des Textes singt, singt ohne „Verstand“, und es ist dann kein kirchlicher Gesang mehr. Der Gesang verkommt zum „Hörgenuss“. Auch die entsprechende Gebetshaltung des Leibes gehört dazu. Schließen wir den Leib von der Anbetung aus, d.h., ist er nicht mehr „Ausdruck“ unseres Gebetes, dann ist es nicht mehr der ganze Mensch, der vor Gott steht.

 

Jetzt beginnt man mit „milder“ (eigentlich „süßer“) Stimmlage: „Preise, meine Seele, den Herrn!“ Und wir kommen dieser Aufforderung nach mit dem Antwortgesang: „Gepriesen seist Du, Herr!“ oder dann „Wunderbar sind Deine Werke, Herr!“ und schließlich „Ehre sei Dir, der Du alles geschaffen hast!“ – Und gleichzeitig wird an solchen Tagen mit Vigil der Altar erleuchtet, die Heilige Tür geöffnet, und die ganze Kirche inzensiert (mit Weihrauch beräuchert).

 

Der Anfang der Vesper bewirkt, dass wir an unseren Ursprung herangeführt werden und damit Den, Der „das All zusammenhält“. Überfällt uns immer einmal wieder das Gefühl der Verlorenheit: Jeden Abend beginnt neu die Schöpfung Gottes und die Erleuchtung durch Sein Licht!

 

        2.      Das umfassende Gebet

 

Der die Vesper und damit den Tag vorbereitende Psalm 103 (104) „Preise, meine Seele, den Herrn. Herr, mein Gott, Du bist überaus groß...“ versetzte uns an den Anfang der Schöpfung und ließ uns bewusst werden, dass diese andauert bis zum Ende der Welt: Denn durch den Atem Gottes lebt sie!

 

An Sonn- und Feiertagen, wenn Vesper und Utrenja (Matutin) als Vigil (Nachtwache) gehalten werden, wird hier die Königstür geöffnet, der Altar(raum) mehr erleuchtet und die ganze Kirche beräuchert. So wird an herausgehobenen Tagen die Gottbezogenheit und Schönheit der Schöpfung, des Paradieses, noch zusätzlich angedeutet.

Die Tür wird wieder geschlossen, der Altar nur durch einige Öllampen erleuchtet: So leuchtet das Licht in der Finsternis weiter, aber es überwindet sie noch nicht: Andeutung dessen, dass die Sünde die Schöpfung versehrt hat. Aus diesem „Halbdunkel“ heraus wird die erste große Ektenie (Litanei) gesungen.

 

Diese Ektenie ist ein umfassendes Gebet. Darum steht sie mit demselben Wortlaut am Anfang der drei großen Gottesdienste jedes Tages: der Vesper, der Utrenja, der Göttlichen Liturgie.

Nichtorthodoxe vermissen bisweilen in unseren Gottesdiensten frei formulierte Gebete zu aktuellen, etwa politischen, Themen. Wir meinen: Unsere Ektenien sind so umfassend in ihren Texten, dass nichts „ungenannt“ bleibt, gleichzeitig aber die Gefahr gewisser Einseitigkeiten vermieden wird.

Bedenken Sie auch einmal außerhalb des Gottesdienstes, welche Weisheit in dieser Ektenie zum Ausdruck kommt. Leider kann das hier nur knapp angedeutet werden: „Im Frieden“ mit uns und den Anderen sollen wir „Kyrie eleison“ sagen. Und sofort werden wir darauf hingewiesen, was für ein Frieden gemeint ist: „Um den Frieden von oben...“ Er wird gegeben und soll erbeten sein – nicht wir können ihn schaffen. Mit diesem Frieden „von oben“ können – und müssen – wir als Vorbereitung für die folgenden Anrufungen „um das Heil unserer Seelen“ bitten.

Kommen diese ersten beiden Anrufungen aus dem Herzen, sind wir in der Lage, die nun folgende Reihe von Bitten auszusprechen: „Um den Frieden der ganzen Welt, den guten Stand der Heiligen Kirchen, um die Einheit aller, für die Stände der Kirche, für das Land, in dem wir leben, und für alle Länder...“, um das, was wir zum geistigen und leiblichen Leben brauchen, um die Bewahrung vor Sünde und Gefahr – um die Gnade!

 

Zusammengefasst wird das alles durch den Willen zur Hingabe an Gott, in Gemeinschaft mit den Heiligen – der Kirche des Himmels. Die Verherrlichung der Allheiligen Dreiheit beschließt diese wie jede andere Ektenie. Es beginnt nun die Kathisma, die durch die Woche laufende Psalmenrezitation, die sich wie ein Strom durch alle Tagesgottesdienste hinzieht.

 

        3. Kathisma: laufende Psalmrezitation im täglichen Gottesdienst der Kirche

 

Dieses griechische Wort bedeutet „Sitzen“. Der Psalter ist in unserer Kirche in zwanzig Abschnitte, sogenannte Kathismen, eingeteilt. Einmal wöchentlich wird der gesamte Psalter in laufender Rezitation in der Vesper (ein Kathisma) und in der Utrenja (zwei Kathismen) gesungen. Einige Psalmen werden darüber hinaus täglich wiederholt.

 

Jede Kathisma ist wiederum in drei Unterabschnitte eingeteilt. Nach jedem dieser Unterabschnitte singt man das „Ehre sei dem Vater...“ und dreimal „Ehre sei Dir, Gott.“ „Ehre“ heißt „Slava“, sodass ein Unterabschnitt „eine Slava“ genannt wird.

Bei dieser laufenden Psalmenlesung sitzt man. Ein Zugeständnis an die menschliche Schwäche – und außerdem kann man das Sitzen als meditative Haltung ansehen. Daher sitzt man auch bei Lesungen aus dem Alten Testament oder aus den Werken der heiligen Väter.

Der Tag beginnt am Abend mit der Vesper, die Woche also am Samstagabend. Daher beginnt die laufende Psalmenlesung am Samstagabend mit der ersten Kathisma (Psalmen 1-8). Da in den Pfarrkirchen Vesper und Utrenja/Matutin gekürzt werden, singen wir nur die erste Slava, d.h. die Psalmen 1-3. In manchen Kirchen singt man nur wenige Verse.

 

Die Psalmen enthalten das ganze Leben der Menschen und des Kosmos gleichsam als Worte Gottes an uns und gleichzeitig als Antwort von uns. In der Auslegung der Kirche ist auch das ganze Mysterium des Glaubens in den Psalmen angedeutet und ausgedrückt. Die laufende Lesung in Abend- und Morgengottesdienst nimmt also nicht auf die Tageszeiten Bezug, sondern sie ist wie ein Strom, zu dem wir – zu unserem Heil – täglich zweimal zurückkehren aus unserem persönlichem Leben um teilzuhaben am Leben in Gott.

Angesichts unserer Schwäche kürzen wir in den Pfarrkirchen zwar nicht die Liturgie, wohl aber die Vigil/Nachtwache, die aus Vesper und Utrenja/Matutin besteht. DAHER IST ES BESONDERS WICHTIG, WOLLEN WIR DER FRUCHT DER KATHISMENLESUNG TEILHAFT WERDEN, DASS WIR AUCH BEI DIESER VERKÜRZTEN REZITATION DIE MEDITATIVE HALTUNG IN UNS WACHRUFEN. Der Sinn der heutigen Einführung ist der Satz, der eben geschrieben wurde!

 

        4.      Kleine Ektenie: „Wieder und wieder...“

 

Unser inneres Gebet und die Betrachtung bei der Rezitation mündet und wird zusammengefasst in der kleinen Ektenie (Litanei), die wir im Lauf des Tages so oft wiederholen: „Wieder und wieder lasst uns zum Herrn beten...“ Vier- bis neunmal, je nach dem Charakter des Tages, wird sie in der Vesper und dem Morgengottesdienst gesungen. Immer besteht sie aus denselben Worten. Nur der Schlusssatz, der Lobpreis der Allheiligen Dreiheit, variiert.

Manche Christen verstehen das nicht. Warum „wieder und wieder“? Der Herr sagt doch: „Macht nicht viele Worte, wenn ihr betet...“ Genügt es nicht, Gott einmal zu bitten, Der unsere Bitten schon kennt, bevor wir sie aussprechen? Muss Er „überredet“ werden von uns?

Sicher nicht! Wir jedoch brauchen dieses „Wieder und wieder“! Denn „ohne Unterlass“ sollen wir beten, sagt der Heilige Apostel. Auf dieser Erde bleibt das immer Stückwerk – Stückwerk jedoch, das Gott zur Fülle ergänzt. Und so werden wir durch dieses „Wieder und wieder“ gleichsam unmerklich verwandelt, bis wir eines Tages auf der Schwelle stehen werden, die für uns – so hoffen wir – den Eingang zur endgültigen Verwandlung zu Gott hin bedeutet.

Dann endet alles Stückwerk, und Gott wird „alles in allem“ sein.

 

Achten wir also mit wacher Aufmerksamkeit auf dieses „Wieder und wieder“ – und auch darauf, an welchen Stellen wir es singen: Immer dann nämlich, wenn ein Abschnitt des Gottesdienstes beendet ist. So bedeutet die Kleine Ektenie also auch ein Atemholen vor dem nächsten Teil, den wir dann mit neuer Energie beginnen können.

 

In der Vesper also die Kleine Ektenie nach der Psalmenkathisma.

In dieser Weise bereitet uns die Hl. Kirche vor für das Zentrum der Vesper, das mit dem Luzernarium beginnt, dem „Lichtanzünden“!

 

        5.      Das Luzernarium: „Es steige unser Gebet empor wie Weihrauch vor Dir!“

 

Während der Vesper geht die Sonne unter (wenn wir aus Gründen der Bequemlichkeit bei der Festsetzung der Gottesdienstzeiten darauf auch leider keine Rücksicht nehmen). Wird es dunkel, braucht man Licht. In der Dämmerung der Erde scheint das „Licht Christi“ (in den Vespern der Großen Fastenzeit wird dieses Wort häufiger gesungen). Die Intensität des abendlichen Gebetes soll jetzt auf dem Höhepunkt sein: „Herr, ich rufe zu Dir.... Wie Weihrauch steige mein Gebet zu Dir auf!“

Seele und Leib zusammen sind der Mensch: Worte, Gesang, Licht Weihrauch, Verneigungen, geistige und leibliche –verleiblichte – Bilder werden ganz natürlich eins während der Luzernarpsalmen. Täglich dieselben Worte, täglich sind sie neu, immer wieder anders beleuchtet von den Tagesgesängen (Stichiren), die wir in diese Psalmen einfügen. Schon in diesen Stichiren der Vesper beginnt sich im Lauf des kirchlichen Jahres das ganze Mysterium des Glaubens zu entfalten, soweit Gott es der Hl. Kirche offenbart hat.

 

Sind die Luzernarpsalmen und die Stichiren gesungen, sollen wir vorbereitet sein für den Höhepunkt der Vesper: den sog. Einzug und den Hymnus, der täglich derselbe ist: „Phos hilarion...“ – „Heiteres Licht heiliger Herrlichkeit...“.

 

        6.      Einzug und Vesperhymnus

 

Wir sind im Zentrum der Vesper und damit des christlichen Abends: An den Sonntagen und anderen größeren Festen allen sichtbar gemacht durch das Öffnen der Heiligen Tür und den Einzug in den Altar mit Weihrauch und Vesperhymne (an den einfachen Tagen wird nur die Vesperhymne gesungen, jedoch kein Einzug vollzogen):

 

Heiteres Licht Heiliger Herrlichkeit

des unsterblichen Vaters, des Himmlischen, des seligen: Jesus Christus.

Wir kommen zu der Sonne Sinken

und schauen das Licht des Abends

und besingen den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist: Gott!

Würdig bist Du, zu allen Zeiten

mit heiliger Stimme gefeiert zu werden,

Sohn Gottes, der Leben verleiht.

Deshalb preist Dich das All.

 

(„Heiter“ nach dem griechischen Urtext; in der slawischen Übersetzung heißt es mehr: stilles, ruhiges, sanftes Licht. – „heiter“ natürlich nicht im Sinn des Lustigen gemeint, sondern so, wie man etwa von „heiterem Wetter“ spricht)

 

Dieser Gesang, der auf die ersten christlichen Jahrhunderte zurückgeht, ist so tief und gleichzeitig so einfach, dass jeder ihn mitvollziehen kann: Christus, das Licht, symbolisiert durch die Öllampen, und die (eigentlich erst jetzt zu entzündenden) Kerzen, erscheint in besonderer Weise beim Untergang des Abglanzes des Herrn, der geschaffenen Sonne. Die irdische Dunkelheit ist für den Glaubenden nicht mehr undurchdringlich. Durch dieses göttliche Licht, den Herrn, ist die Kirche imstande, Gott in Seiner Dreiheit zu besingen. Daher ist es angemessen, dieses auch „zu allen Zeiten“ zu tun, um so „das Leben“ zu empfangen. Und am Ende die Einbeziehung des „Alls“ (des Kosmos und des Überkosmos), dem ihre Stimme zu leihen die Kirche nicht müde wird.

 

Es ist charakteristisch für den Gottesdienst der Kirche, dass die Höhepunkte der Tagesgottesdienste stets durch dieselben Gesänge und Gebete gefeiert werden: in der Vesper durch unsere Hymne, in der Utrenja, dem Nacht- und Morgengottesdienst durch die Psalmen 134 (hebr. 135) und 135 (136) und durch das „Ehre sei Gott in den Höhen...“, in der Liturgie durch das Eucharistische Gebet.

Die Kirche hat hier gültige Formen gefunden, die Einheit des Mysteriums durch das ganze Jahr eben durch dieselben Worte auszudrücken. Für die Entfaltung des Mysteriums im Lauf des Jahres gibt es dann die Gesänge und Lesungen, die diese Zentren umgeben. So werden wir mit der Gnade Gottes organisch von Jahr zu Jahr mehr zur „Vollendung“ unseres irdischen Lebens geführt.

 

Zumindest diesen Gesang „Heiteres Licht...“ täglich mitzuvollziehen, sollte kein Christ versäumen: Wir sind Glieder eines Leibes und sollen täglich gemeinsam einziehen zum „Licht Christi“.

 

        7.      Prokimen und Lesungen (Parimien)

 

Wenn die zentrale Vesperhymne „Heiteres Licht heiterer Herrlichkeit...“ gesungen ist und wir damit in die irdische Dunkelheit eingetreten sind und zum „Licht Christi“ gefunden haben, setzen wir uns, um die Parimien (alttestamentliche Lesungen oder Abschnitte aus den Apostelbriefen) zu hören.

Achten wir darauf, dass das „Licht Christi“ die Texte beleuchtet, sie also durch dieses Licht recht verstanden werden können. Jede Lesung beginnt mit den Ausrufen „Lasst uns aufmerken!“ und „Weisheit!“ Mit diesem letzteren Ausruf soll unser Geist dahin gelenkt werden, in den Worten der Lesung die Weisheit Gottes zu erspüren.

 

In unseren Gottesdiensten werden Lesungen durch den sog. Prokimen angekündigt, ein aus Psalmversen gebildetes Responsorium (Antwortgesang). Jeder Tag der Woche hat dafür einen eigenen Text.

Leider sind an Sonntagen und auch an kleinen Festen die Lesungen entfallen. Nur der Prokimen wird täglich gesungen und mahnt uns an solchen Tagen wenigstens noch daran, was die „Weisheit“, der „Geist Gottes den Gemeinden sagt“.

 

        8. Abschluss

 

Es folgen die beiden Litaneien (Ektenien), die fast gleichlautend auch den Schluss des Morgengottesdienstes (Utrenja) bilden, unterbrochen durch das vom Leser gesprochene Abendgebet „Würdige Dich, Herr, uns an diesem Abend ohne Sünde zu bewahren...“

 

Die erste der Litaneien, die sog. Inständige Ektenie, hat wie die Anfangslitanei den großen Atem des Abendgebetes für die ganze Kirche und Welt. Verlieren wir das „Große Ganze“ aus dem Sinn, verengt sich unser Glaube und wird damit unchristlich bzw. unkirchlich. Gleichzeitig wird das ganz Persönliche, das Innerste des eigenen Lebens ausgedrückt – niemals jedoch in peinlich indiskreter Weise. Sehen Sie sich unter diesem Gesichtspunkt das Abendgebet „Würdige uns, Herr, an diesem Abend ohne Sünde zu bewahren...“ und die zweite Litanei (Ektenie) „Vollenden wir unser Abendgebet  vor dem Herrn...“ einmal an! Das gleichzeitig intime und umfassende Gebet zur Hauptneigung schließt sich an.

Dazu eine Anmerkung: Leider sind die Gebete zu den Ektenien und das Gebet zur Neigung des Hauptes in der Praxis heute leise gesprochene Texte. Das kürzt – für manche Gläubige angenehm – zwar den Gottesdienst, aber diese Texte sind besonders gefüllt und sollten von den Gläubigen immer wieder (z.B. bei den persönlichen Gebeten zum Abend) rezitiert werden.

 

Kurze, zum Tag passende, Psalmverse schließen sich an einschließlich „Ehre sei dem Vater...“, die gefolgt werden Stichiren, die ebenfalls den Inhalt des Tages besingen.

 

Dann folgt der zweite Höhepunkt der Vesper, der neutestamentliche Hymnus „Nun entlässt Du, Herr, Deinen Diener in Frieden, denn meine Augen haben Dein Heil gesehen...“ Der Dank für die Offenbarung des Herrn beim Hymnus „Heiteres Licht heiterer Herrlichkeit...“ wird mit den Worten des Heiligen Simeon und in Gemeinschaft mit ihm besungen, die dieser sprach, als er im Tempel den Herrn als Kind auf die Arme nahm. (Siehe das Fest der „Begegnung“ am 2./15.2.)

 

Wie jeder Gottesdienst schließt auch die Vesper mit den jedem Gläubigen am meisten vertrauten Gebeten „Heiliger Gott, heiliger Starker...“ bis zum Vater unser. Die Schlussformel „Der Name des Herrn sei gepriesen..“ (dreimal) kennen wir als (altchristliche) Schlussformel auch aus der Göttlichen Liturgie. Dann folgt der Segen des Priesters, ebenfalls wie in der Liturgie. (Wenn die Vesper nicht im Rahmen der Vigil/Nachtwache, sondern separat gehalten wird, entfällt dieser Schluss und wird ersetzt durch den „Otpust“:               „Ehre sei Dir, Christus Gott, unsere Hoffnung, Ehre sei Dir...“).