Der selige Prokop von Lübeck und Ustjug  (8./21.7.)

Tropar (4. Ton):

 

Von der Gnade Gottes erleuchtet, Gottweiser,

hast Herz und Sinn du ganz von dieser Welt

unwandelbar zum Schöpfer ausgerichtet.

In Lauterkeit und großem Dulden,

den Glauben unversehrt bewahrend,

hast du den Lauf des Lebens gut vollendet.

Deswegen erschien auch nach deinem Tod

die Leuchtkraft deines Lebens,

denn als unerschöpfliche Quelle von Wundern

strömst du allen, die gläubig eilen zu deinem heiligen Grab.

Allseliger Prokop, bitte Christus, unseren Gott,

dass Er uns errette.

 

Kondak (4. Ton):

 

Durch die Narrheit um Christi willen

durchquertest du auf den Händen der Engel ungehindert

die Zollstationen zwischen der Erde und dem Himmel,

wurdest der Schau des Thrones gewürdigt,

und Christus, der König aller, empfing dich

und schenkte dir heilende Gnade.

Durch deine vielen Wunder und seltsamen Zeichen

Aber erstauntest du alle in deiner Stadt Velikij Ustjug.

Da du deinem Volk Erbarmen erflehtest,

ging aus dem kostbaren Bild der Allheiligen Gottesgebärerin

durch dein Gebet Myron hervor, und die Kranken wurden geheilt.

Daher bitten wir dich, wundertätiger Prokop,

erflehe von Christus, Gott, unablässig unserer Sünden Vergebung. 

 

  

Der selige Prokop von Lübeck und Ustjug – ein Vermittler zwischen Osten und Westen

(P. Nikolai Wolper)

 

Wenn in Norddeutschland russisch-orthodoxe Gemeinden ihre Kirchen dem seligen Prokop weihen,  so bedeutet das nicht nur ein respektvolles Gedenken an einen aus dieser Region stammenden Heiligen, sondern die Gläubigen versammeln sich um einen gottbegnadeten Menschen, dessen wirkmächtige, Völker verbindende Gegenwart sie  in Bildern und Gesängen bezeugen. Die Fresken im Nordschiff der Prokop-Kirche in Hamburg sind ganz den Heiligen Russlands gewidmet. Gegenüber der Nordtür (die sich inmitten der Taufe Russlands durch die hl. Großfürsten Olga und Wladimir öffnet), erscheinen bedeutsame Szenen aus dem Leben des seligen Prokop.

Als Vermittler zwischen Osten und Wersten hat der sel. Prokop nicht durch sein bewusstes Handeln und Streben im irdischen Leben gewirkt – dieses wies eindeutig in die Richtung gen Osten -; sondern durch diesen Heiligen können die verborgenen Wege Gottes offenbar werden. In den Wirren und Grausamkeiten der Geschichte, die so viel Leid und Verzweiflung in die Welt gebracht haben und noch immer bringen, ist der Sinn oft schwer zu erkennen. Erst im nachhinein erscheinen durch das Schicksal der Menschen hindurch Spuren des Handelns Gottes zum Heil der Welt. Das haben schon die Israeliten in ihrer wechselvollen Geschichte  mit Gott, von der das Alte Testament so eindringlich berichtet, erfahren. Erst der Blick mit den demütigen Augen des Glaubens erschließt diesen Sinn.

 

Zwei aus der Sicht weltlicher Geschichtsbetrachtung ganz und gar unreligiöse Vorgänge, durch sieben Jahrhunderte getrennt, werden durch das Wirken des sel. Prokop verknüpft, ein ökonomisch und ein politisch geprägtes Geschehen.

 

Von Lübeck nach Nowgorod (rechtes Fresko im Nordschiff)

 

                                                     

1. „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen, so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; und dann komm und folge Mir nach!“ (Mt 16,21 par.)

Es waren wirtschaftliche Interessen, die Kaufleute, vornehmlich im Ostseeraum, zur Gründung der Hanse, einer Genossenschaft von Städten unter der Führung Lübecks,  beflügelten. Den Höhepunkt erlebte dieses Handelsbündnis im 13. und 14. Jahrhundert; nach dem Untergang im 17. Jhdt. bewahrten nur Lübeck, Bremen und Hamburg den „hanseatischen“ Titel bis in die Gegenwart.

Das wichtigste Handelszentrum  im Nordosten war damals die „Freie und Hansestadt“ Nowgorod, eine Stadtrepublik stolzer Bürger mit einem riesigen Gebiet, das bis zum Weißen Meer reichte.

Der Wohlstand führte im 11. und 12. Jhdt. zu einer großen Bautätigkeit, insbesondere von Kirchen und Klöstern, für die sich ein eigener, sehr herber, schlichter Stil von großer Erhabenheit entwickelte. Das Haupt-Heiligtum war der geheimnisvollen Hl. Weisheit (Sophia) geweiht.

 

So reiste im 13. Jhdt. auch ein namentlich nicht bekannter Kaufmann aus Lübeck im Auftrag seines Vaters auf den damals üblichen Koggen nach Nowgorod. Mit welchen Waren er handelte, weiß man nicht; vielleicht Salz aus Lüneburg oder Wein aus Süddeutschland und Frankreich. Russland lieferte vor allem Pelze und Wachs. Die ungeahnte Pracht der Kirchen und der orthodoxen Gottesdienste, die vier Jahrhunderte zuvor schon die Gesandten des Großfürsten Wladimir in Konstantinopel so überwältigt hatten, dass sie sich im Himmel wähnten und der Kiewer Rus dieses Christentum  als die wahre Religion empfahlen, zogen den Kaufmann nicht nur als kulturelle Sehenswürdigkeiten in den Bann, sondern ihm widerfuhr dort etwas, das der Akathistos zum sel. Prokop im 2.Kondak mit den erstaunlichen Worten ausdrückt, er sei „von der Liebe zum orthodoxen Glauben verwundet worden.

Eine Verwundung, die den Menschen wirklich in Mark und Bein – oder wie die Mystiker sagen: ins Herz – trifft, verändert das Leben unwiderruflich; und so erging es auch diesem Kaufmann, der nach dem Tod seines Vaters ganz nach Nowgorod übersiedelte und, unterwiesen vom Abt des Klosters, dem hl.Varlaam Chutynski, die orthodoxe Taufe empfing. Die Einladung des Herrn, um der Vollkommenheit willen den Reichtum zu verschenken und Ihm nachzufolgen, wurde diesem in der Stadt reich gewordenen Geschäftsmann zur Anrede Gottes. So trat der ehemalige Lübecker Kaufmann in das Kloster ein und erhielt den Namen des frühchristlichen Märtyrers Prokop.

 

Von Nowgorod nach Ustjug (linkes Fresko im Nordschiff)

 

 

                                                 

 „Wir sind Narren um Christi willen. Ihr dagegen seid kluge Leute in Christus.“ (1 Kor 4,10)

 

Dieser Ausländer in Nowgorod, Emigrant aus Norddeutschland in die fremde russische Kultur, hatte das Ziel seines Lebens, die bedingungslose Gemeinschaft mit dem Dreieinen Gott, noch nicht erreicht

Die Probleme jedes suchenden Menschen, die eigene Eitelkeit zu besiegen, und die große Kluft zwischen dem „gesunden Menschenverstand“, der unseren Alltag prägt, und der göttlichen „Weisheit“, zu bewältigen, trieben den seligen Prokop noch weiter aus der vertrauten Welt bürgerlicher Existenz hinaus. Er besann sich auf die Predigt des hl. Paulus, der die „Torheit“ des Kreuzes in der Nachfolge Christi den „Klugen“ in Korinth konfrontiert hatte, und nahm die in Russland bis dahin unbekannte Lebensform eines „Narren in Christo“  an. Vorbilder hatte es nur wenige in Byzanz gegeben, das berühmteste ist der hl. Andreas  aus dem 10. Jhdt., der angesichts des feindlichen Ansturms den verzweifelten Menschen mit einer Vision der Gottesmutter, die ihren Schleier schützend über die Gläubigen in der Blachernen-Kirche und über die ganze Stadt breitete, zu Trost und Zuversicht verholfen hatte. (Die russische Kirche gedenkt der wunderbaren Rettung Konstantinopels durch die Hilfe der Gottesmutter am „Pokrov“-Fest am 1. Oktober.)

Durch provokantes Auftreten jenseits bürgerlicher Konventionen – völlig verwahrlostes Äußerliches, Missachtung von Fastentagen, Diebstähle an Marktständen, zweideutiges Verhalten gegenüber stadtbekannten Huren; etc. -  erregte er tagsüber den Ärger der Bevölkerung, während er die Nächte mit Gebet und Bußübungen verbrachte. Er war obdachlos und schlief auf den Stufen der Kathedrale. Es dauerte lange, bis die Menschen die besondere Begnadung eines „Narren in Christo“ wahrnahmen und begannen, diesen sonderlichen Heiligen zu verehren.

Diese Wendung in der öffentlichen Wirkung nahm der selige Prokop zum Anlass, seine Emigration aus der Welt fortzusetzen, indem er sich zu Fuß immer weiter nach Osten auf den Weg machte durch unwirtliches Gelände, bis er über die Orte Tichwin, Belozwersk und Vologda schließlich in Velikij Ustjug im äußersten Osten des Nowgoroder Gebiets, 1000 km Luftlinie entfernt, zur „Ruhe“ kam. Hier begann seine eigentliche Wirksamkeit als prophetische Existenz, die – abgesehen  vom unablässigen ungern gehörten Ruf zur Umkehr in Fasten und Beten, im Gedenken an den Tod – nicht mit Worten wirkt, sondern durch ein Leben, das als solches zum Zeichen und zur Mahnung wird (so wie die anstößige Ehe des hl. Propheten Hosea mit einer Hure ein Mahnzeichen für die Untreue des Volkes Israel gegenüber Gott wurde).

 

Die Kirche verehrt als Bekenntnis zur Gottesebenbildlichkeit der Menschen Ikonen. Sie sind kein fotografisches Porträt innerweltlicher Sichtbarkeit (wie eine Momentaufnahme mit der Kamera), sondern lassen die wesentlichen Züge des Heiligen im Zustand der Verklärung durch den Heiligen Geist durchscheinen.Das ist auch der Sinn einer Heiligenlegende als einer Wortikone, die charakteristische Merkmale in anschaulichen Szenen skizziert.

Die Heiligenlegende aus dem 16. Jahrhundert stellt als Gestaltmerkmal des sel.Prokop  besonders seine „Hellsichtigkeit“ heraus. (Der Text des Lobpreises dieses Heiligen – der „Akathist“ – dichtet den gleichen Inhalt um in die Hymnenform .) Hellsichtigkeit ist eine Lebensäußerung im Organismus der Kirche, gespeist aus der „Intimität“, dem innigen Umgang mit dem Hl. Geist, der Seele der Kirche.

Besonders vier biografische Bilder bestimmen das Typische (auch die Viten-Ikone) dieses „Hellsichtigen“:

- Der selige Prokop sieht eine Katastrophe über die unbußfertige Stadt hereinbrechen und bereitet das

   Volk vor auf  den Niedergang eines riesigen Meteoriten. Das Unglück wird abgewendet durch Gebet

   und Fasten und hinterlässt nahe der Stadt einen riesigen Krater, der heute noch zu erkennen ist.

- Auf das inbrünstige Gebet des Heiligen vor der Verkündigungs-Ikone der Marienkathedrale von

   Ustjug hin fließt ein wohlriechendes Öl – Myron – aus dem Bild der Gottesmutter, mit dem die

   Gläubigen gesegnet werden.

- Einem kleinen Kind, vor dem er zur Verstörung der Umstehenden auf der Straße kniefällig huldigt,

   prophezeit er, die Mutter eines künftigen Bischofs von Perm, das damals noch völlig heidnisches

   Gebiet war, zu werden. Tatsächlich wurde ihr Sohn der hl. Missionar und Bischof Stephan von Perm.

 

- In einer lebensfeindlichen Winternacht, als niemand dem Narren Zuflucht gewähren will, droht der

  Heilige vor der Kathedrale zu erfrieren. Die Vision eines rettenden Engels verschafft ihm eine solche

  innere Wärme, dass er auf wundersame Weise gerettet wird. Dem späteren Vater des hl. Stephan v

  Perm, dem jungen Simeon, vertraut er dieses Erlebnis unter dem Mantel der Verschwiegenheit an.

 

Und schließlich wird ein stetes Zeichen seiner prophetischen Existenz – und zum Attribut auf seinen Ikonen -  das scheinbar sinnlose Tragen von schweren Feuerhaken, wie sie Schornsteinfeger benutzten, gemäß der Mahnung des Herrn:

„Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach.“ (Mt 16,24; par; die Kirche verkündet diese Worte – wie auch die von der Torheit des Kreuzes - am Fest der Kreuzerhöhung am 14. Sept.)

Trug er die Haken nach oben gerichtet, sagte er gute Ernten voraus; wiesen sie nach unten, waren schlechte Erträge zu erwarten.

 

Seinen Todestag ahnte der Heilige vorher und er suchte die Nähe des Klosters der Gottesmutter und des Erzengels Michael um am 8. Juli 1303 zu sterben. Sein Leichnam wurde erst drei Tage später – man hatte ihn beim täglichen Gottesdienst vermisst – unter einer Schneewehe gefunden. Hochverehrt vom Volk, wurde er in der Kathedrale beigesetzt. 

 

Dieser so anstößigen Lebensform, dieser Zumutung an jeden vermeintlich zivilisierten und weltklugen Menschen, auch der auf die Ordnung der Kirche Bedachten, sind später noch viele weitere „Narren in Christo“  („Jurodovyj“)gefolgt. Ca. 35 von ihnen wurden von der Kirche verherrlicht. Der hl. Ioann von Ustjug (gest. 29. Mai 1494) erscheint oft zusammen mit dem sel. Prokop auf Ikonen; so auch in einer Seitenkapelle der Lübecker St. Marien-Kirche. Das russische Volk hegt eine besondere Liebe zu diesem „extremen“ Heiligentyp. Im Westen und in anderen orthodoxen Ländern kommt er kaum vor. Er vermittelt eine Ahnung von der Leidenschaft des christlichen Glaubens, der bedingungslosen Hingabe an den Mensch gewordenen Gott, der alle menschlichen Kategorien sprengt um Seine Geschöpfe zu retten.

 

Von Ustjug nach Lübeck und Hamburg

                               

2. Als nach dem zweiten Weltkrieg erneut Hunderttausende Menschen vor der stalinistischen Diktatur und dem Elend Osteuropas in den Westen flüchteten und u.a. in Norddeutschland eine neue Heimat suchten, fanden sie in dem deutschen Narren in Christo, der als Emigrant in umgekehrter Richtung alle Bindungen an weltliche Heilsversprechen aufgegeben hatte, eine Völker verbindende Gestalt, die die Sehnsucht der russischen Seele nach der Vereinigung mit Gott ebenso ausdrückt wie die Zuversicht, dass vor Gott nicht die geografische oder kulturelle Herkunft zählt, sondern nur das aufrichtige Bekenntnis zu Seiner Herrlichkeit. Deshalb weihten sie dem sel. Prokop von Lübeck und Ustjug ihre neuen Kirchen und öffneten sie auch den suchenden andersgläubigen Menschen in dieser ihnen noch fremden Umgebung – die Geborgenheit in einer Insel des „heiligen Russland“ und den Willen zur heute so oft beschworenen „Integration“ in einem andersartigen Kulturraum verbindend.

 

Auf den rätselhaften und schrecklichen Wegen der Geschichte – hier über die Machtgier einer politischen Ideologie – ist so ein nicht nur ökonomischer, sondern auch religiöser Emigrant, dessen wahre Heimat das Reich Gottes ist, an seinen weltlichen Geburtsort zurückgekehrt.

Sollte damit vielleicht im Zeitalter der Viele ängstigenden Globalisierung auch ein Zeichen der Versöhnung und Zuversicht auf das unverbrüchliche Heilsversprechen Gottes erkennbar werden?

 

                       (P. Nikolai Wolper            -            Nacht der Kirchen in Hamburg am 16.9.2006)

 

Eine deutsche Übersetzung der kirchlichen Heiligen-Vita und des Akathistos findet sich in:

DER SCHMALE PFAD. Orthodoxe Quellen und Zeugnisse (hg.v..Johannes A. Wolf) Bd.1/2002

 

Hinweise:

Kirche des sel. Prokop in Lübeck: www.ack-Luebeck.de (Link: Mitgliedskirchen)

Schöne Bildergalerie in der Prokop-Kirche Bischofsheim/Rhön: www.orthodoxe-kirche-bischofsheim.de
Kathedrale in Ustjug: www.ustjug.museum.ru/eng/objekts/prokop.html